Stoned Golem

*-* ... und wir wissen, dass es keine Wunder gibt ... *-*

[Kritik] Sebastian Fitzek: Die Therapie

Bevor ihr denkt, es gibt mich nicht mehr, lasst euch folgendes gesagt sein.

  1. Ich komm mir vor wie ein Rentner. Kaum bin ich mit der Arbeit durch, habe ich keine Zeit mehr für gar nichts. Auch nicht für dieses Blog, oder Google+, oder Shakes and Figdet, oder, oder, oder und so leid es mir derzeit auch tut. Vielleicht, eines fernen Tages, wenn ich wieder mit meiner Frau zusammen unter einem Dach wohne und ich einem geregelten Job nachgehe — ja, dann schaffe ich es sicherlich wieder, hier regelmäßiger meine Einsichten zu veröffentlichen.

  2. Wohnungssuche in Hamburg ist der neunte Kreis der Hölle. Ich weiß wovon ich rede. Ich war da.

Aber ich will nicht meckern, sondern produktiv etwas beitragen. Eine Sache, die ich schon länger auf diesen Blog hochstellen wollte, ist eine Rezension von Sebastian Fitzek Psychothriller “Die Therapie”. And here we go:

Viktor Larenz sitzt im Wartezimmer eines befreundeten Arztes und wird langsam unruhig. Er ist allein unter Fremden, zum Warten verdonnert, denn seine pubertierende Tochter wollte alleine zum Doktor vor. Der Wunsch nach Privatsphäre, ein unvermeidlicher Aspekt des Heranwachsens. Larenz spürt, dass etwas nicht stimmt; mit jeder verstreichenden Minute wächst seine Anspannung. Er stürmt ins Behandlungszimmer, doch seine Tochter ist nicht da. Er schreit die Frau an der Rezeption an, aber sie beteuert unter Tränen, seine Tochter hätte keinen Termin gehabt und er wäre allein in die Praxis gekommen. Ein zwölfjähriges Mädchen verschwindet, und die Arzthelferin hat die Frechheit, ihn anzulügen. Unter dem angestauten Druck bricht Larenz zusammen.

Jahre später erwacht er in einer psychiatrischen Anstalt aus einem langwierigen Koma. Dem ehemaligen Star-Psychiater Viktor Larenz wird der Mord an seiner Tochter Josy vorgeworfen. Es bleiben nur wenige Minuten, bis die Polizei eintrifft, um ihn zum ersten Mal zu vernehmen. Wenige Minuten, die Dr. Martin Roth nutzen möchte, um Larenz´ Version der Geschehnisse zu hören.

Und Viktor beginnt zu erzählen. Von der unerklärlichen Krankheit seiner Josy, die sie von Arzt zu Arzt führte, ohne dass die Ursache gefunden werden konnte; von Josys Verschwinden; von der emotionalen Leere nach der Tragödie. Und vor allem von jenen fünf schicksalhaften Tagen, die Viktor Larenz in seinem Ferienhaus auf der Insel Parkum verbrachte, um ungestört an einem Email-Interview zu arbeiten. Auf Grund seiner fachlichen Reputation erregte das Verschwinden seiner Tochter ein reges mediales Interesse, was Larenz und seine Frau noch zusätzlich belasteten. Erstmals wollte er sich nun in einer Zeitung zu seinen Erlebnissen der letzten Jahre, inklusive der Schließung seiner eigenen Praxis, äußern.

Dort, in der Abgeschiedenheit, spürt ihn Anna Spiegel auf. Sie leidet unter Schizophrenie und ist von der Vorstellung besessen, dass nur Larenz in der Lage ist, ihr zu helfen. Sie bedrängt ihn, mit ihr eine Therapie zu beginnen, doch Larenz zeigt kein Interesse. Bis Anna eine Bemerkung fallen lässt, die sie mit Josy in Verbindung bringt. Kann es sein, dass diese Fremde Josy nach ihrem Verschwinden gesehen hat? Und wieso wird er das Gefühl nicht los, dass sie gefährlich ist? Als dann auch noch ein Sturm die Insel vom Rest der Welt abtrennt, ist Viktor allein. Allein mit seiner noch immer nicht aufgearbeiteten Vergangenheit; allein mit Anna Spiegel, die sein Leben immer mehr durcheinander bringt, bis er die Bedrohung nicht mehr übersehen kann. Und am Ende des Sturms wartet nichts Geringeres als die Wahrheit.

Sebastian Fitzek legt mit Die Therapie einen Debütroman vor, der es in sich hat. Kindesentführung, Mord, Stalking und psychologische Erkrankungen mannigfaltiger Couleur sind die Zutaten dieses Thrillers. Das Buch wartet mit einem hohem Erzähltempo auf: In kurzen Kapiteln spitzt sich die Handlung unweigerlich zu. Dazwischen, wie kleine Inseln der Ruhe, die reflektierenden Gesprächen zwischen Roth und Larenz.

Der heraufziehende Sturm wirkt wie ein Katalysator auf die Handlung – ein ziemlich offensichtliches Bild –, aber das Unwetter hat noch eine weitere Funktion: Es nimmt dem Protagonisten jede Fluchtmöglichkeit: Weder vor seiner eigenen Vergangenheit noch vor Anna Spiegel kann Larenz sich verstecken. Und dabei hätte er den Schutz vor Anna bitter nötigt.

Die Therapie beschreibt ein familiäres Drama, wie es für Eltern nicht schlimmer sein könnte. Der Verlust des eigenen Kindes ist eine Bewährungsprobe, an der schon viele Familien zerbrochen sind. Der Roman erzeugt die benötigte private Perspektive, , indem aus der Sicht von Viktor Larenz erzählt wird. Darüber hinaus stellt der Sturm eine gute Metapher für die Abgeschiedenheit, Unverstandenheit und ausweglose Leere dar, welche man in Zeiten der Trauer kennen lernen kann: Es ist jener Ring „wie aus Watte“, der sich um die eigenen Gedanken und Gefühle legt und die Reize der Außenwelt auf ein kaum wahrnehmbares Maß abschwächt, der in diesem Buch seinen metaphorischen Ausdruck findet. Das mit diesen Zutaten ausgestattete Buch macht es dem Leser schwer, es vor der letzten Seite aus der Hand zu legen – ein Vorhaben, das angesichts der knapp 270 Seiten durchaus an einem Nachmittag zu bewältigen ist.

Die Schattenseite dieser Anlage liegt auf der Hand: Parkum kann überall sein – vielleicht ein Grund, warum Fitzek eine fiktive Insel für seine Handlung wählt. Mehr noch: Lediglich Josy verbindet Parkum mit der übrigen Welt, und insbesondere in stürmischen Zeiten wird jedwede Kontaktmöglichkeit im Keim erstickt. Die Insel ist das Symbol der inneren Isolation, die sich überall erfahren lässt – und die keinen Ausweg kennt. Wer also große Plots mit vielen Bezugspunkten zur realen Welt mag oder für wen unzählige Nebenhandlungen mit vielen, tiefgründig gezeichneten Charakteren ein wichtiges Qualitätsmerkmal darstellen, der sollte sich nicht in diese „Therapie“ begeben.

Wer mit einer auf das Ende zugeschnitten Handlung sowie einem kleinen, dafür aber gut gezeichneten Personeninventar leben kann, sollten eine Probesitzung riskieren. Und wer weiß, vielleicht können auch Sie dann nicht der Handlung entfliehen.

Sebastian Fitzek: Die Therapie. Genehmigte Lizenzausgabe. Weltbild: 2009.

Erwähnenswert sei noch, dass eine Figur aus diesem Roman auch in Fitzek “Augensammler” einen Gastauftritt hat, den ich an anderer Stelle schon rezensiert habe.

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