Stoned Golem

*-* ... und wir wissen, dass es keine Wunder gibt ... *-*

Brutality Sells...

Was tut man nicht alles für Aufmerksamkeit, insbesondere wenn man mit ihr den eigenen Lebensunterhalt bestreitet. Nicht erst mit der Erfindung von Werbung, privaten Rundfunkprogrammen oder den 68zigern ist bekannt, dass “sex sells”. Was aber, wenn das rhythmische Zusammenspiel nackter Leiber die Auflage nicht mehr zu steigern vermag, weil der Markt gesättigt ist?

Eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu entfliehen, lässt sich an der Titanic und ihrem regelmäßigen Techtelmechtel mit Hitler-Covern beobachten. Sinkt die Auflage, wird Adolf reanimiert und auf die Titelseite gebracht, auch wenn es ansonsten kaum oder sogar keinen Bezug zu Nazis im Heft gibt. Das Antlitz des selbsternannten Größten Feldherren aller Zeiten sorgt für den nötigen Absatz um den Angestellten ordentliche Löhne zahlen zu können1.

Weg Nummer zwei wurde von den Springermedien perfektioniert: “Aufstachelnder Populismus” bzw. “populistische Hetzreden” umschreibt es wohl am Besten, was sich täglich in der Bild lesen lässt. Zwar sinkt auch hier langsam die Auflage2, aber noch immer verkauft sie sich wie geschnitten Brot. Hinterher will es aber niemand gelesen haben.

Eine letzte Möglichkeit ist, mit Schockeffekten an die markabare Neugierde und Schaulust der Leser*innen zu appellieren. Nachdem Sex und Porno in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und nur noch bedingt schocken3 stellt Gewalt und Gore ein letztes Tabu dar. Auto-, Flugzeug- oder Bahnunfälle werden medial in aller Regel durch das direkte Zeigen zerstörter Technik und nicht anhand zermatschter Körper abgebildet; ein Foto verbeulten Metalls lässt automatisch an einen Unfall denken noch bevor wir die Überschrift oder auch nur einen Satz aus dem Artikel gelesen haben.

Da Unfälle in aller Regel nicht planbar sind werden sie dennoch gelegentlich in den Medien abgebildet — unwillentlich, wie ich den Medienmacher*innen zugute halten muss. Vor allem das Fernsehen ist mit den beliebten Live-Sendungen anfällig dafür, Träger und Verbreiter unbeabsichtigter Gewaltdarstellungen zu werden: Man denke hierbei an den Unfall bei “Wetten dass..” oder den Selbstmord von Budd Dwyer im US-Fernsehen.

Fälle wie diese sind tragisch, aber nicht den Medien anzulasten. Anders sieht es aber im aktuellen Fall von Kevin Ware, einem US-amerikanischen Basketballspieler aus. Vor einigen Tagen ist Ware bei einem wichtigen Spiel unglücklich gestürzt und hat sich dabei einen komplizierten Buch das Unterschenkels zugezogen. Der Knochen ist mindestens an einer Stelle durchgebrochen, so dass es schien, als hätte seine Wade ein weiteres Gelenk unterhalb des Knies. Mit dieser Verletzung wird er möglicherweise nie wieder seinen Sport professionell ausüben können.

Hier ein Screenshot, wie Yahoo! Sports über dieses Ereignis berichtete:

Man beachte den letzten Satz, der nur geschrieben wurde, damit Eltern mit traumatisch geschädigten Kindern die Website nicht verklagen können, wenn die Sprösslingen doch einen Blick riskieren sollte: WARNING: The image below is extremely graphic. Viewer discretion ist advised.4

Die sicherste Möglichkeit, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, ist es, ihnen genau das zu verbieten. Der Screenshot deutet das Bild an, welches die Betrachter*innen erwartet: Einen Ausschnitt der Live-Übertragung des Spiels, in dem sich der Unfall ereignete. Aber es ist kein Standbild, wie man vielleicht zuerst denken könnten.

Oh nein, bei weitem nicht!

In Zeiten von Youtube, wo sich so ziemlich jeder grausige Unfall voyeuristisch aufgearbeitet finden lässt5, wirkt ein Standbild anachronistisch. Um mithalten zu können müssen die (Web-)Printmedien schon schwerere Geschütze auffahren. Und so läuft der Unfall von Kevin Ware in der sturen Dauerschleife eines animierten GIFs, welches sich gemäß Standard auch ohne Zutun der Betrachter*innen startet.

Da stellt sich mir eine medientheoretische Frage: Ist die Nachricht über den Unfall und die persönliche Tragik eines Menschen nicht an sich schon sensationell genug, damit sie Aufmerksamkeit generiert? Muss zur Steigerung der Auflage und der Klickzahlen eine Endlosschleife das Opfer an sein Leiden erinnern? Wie muss sich Kevin Ware fühlen, wenn er diesen Moment wieder und wieder ansehen muss, nur weil er unbedarft auf einer Nachrichtenseite surft?

Medienethik scheint oftmals ein Mienenfeld zu sein, welches Medienmacher*innen leider zu einfach unkontrolliert zur Explosion bringen können. Ich jedenfalls bin froh, dass wir derartige Zustände in Deutschland noch nicht erreicht haben und die Nachricht an sich einen Neuigkeitswert besitzt und dieser auch ohne “graphical support” verbreitet wird.


  1. Wahrscheinlich bin ich an diesem Punkt naiv, aber ich hoffe immer, dass Menschen von dem Leben können, was sie gerne machen. Das darf auch in der Verlagsbranche so sein.

  2. Trotz nackter Tatsachen, wie ich anfügen möchte, denn Springer verlässt sich nicht nur auf sein aufrührerisches Potential.

  3. Es sei denn, man tritt als feministische Rockband in einer russischen Kirche auf.

  4. Es darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass wir von den USA reden, dem Land, in dem man zwar Hakenkreuze, aber keine Brustnippel zeigen darf; dem Land, in dem man Schmerzensgeld für ein selbst bestelltes Heißgetränk einklagen kann, wenn man sich aus eigener Dummheit dran verbrühte, nur weil auf der Verpackung kein Hinweis auf den heißen Inhalt angegeben war!

  5. Extremisten und andere Idioten sollen sogar Hinrichtungen bei Youtube einstellen. Die Logik ist hier identisch mit der der Medien: Brutality sells…

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