“Besonders umstritten bei den zähen Debatten über den Abschlusstext war eine Formulierung, wonach Gewalt gegen Frauen nicht durch Sitten, Traditionen oder religiöse Ansichten gerechtfertigt werden kann. Muslimische Länder wie der Iran, Libyen und der Sudan, aber auch Russland und der Vatikan hatten sich für eine schwächere Wortwahl eingesetzt[.]”
(Artikel “Ohne Ausnahme, ohne Ausrede” aus der taz vom 18. März 2013, Seite 2.)
In Indien wurde am Wochenende eine Schweizer Touristin vor den Augen ihre Mannes vergewaltigt. Die Region, in der die Tat verübt wurde, befindet sich in der Nähe des weltberühmten Tadsch Mahal und hat laut taz ein Geschlechterverhältnis von 1000 zu 85. Als Reaktion auf dieses Verbrechen sollte in der UNO eine Resolution verabschiedet werden, die Gewalt gegen Frauen generell ächtet und mögliche Begründungen von Vorne herein ausschließt, damit sich niemand mehr herausreden kann: “Ja, Gewalt gegen Frauen ist böse. Aber wir haben das ja schon immer gemacht und bisher haben sich die Dinger auch nicht beschwert. Also ist es wohl okay, wenn wir es auch weiterhin machen.” Ausreden dieser Art wären dann nicht mehr möglich.
Interessant an der Meldung ist vor allem, wer sich nicht für eine generelle Absage an patriarchalischer Gewaltausübung durchringen konnte: Islamische Länder, Russland und der Vatikan. Ich bin mir sicher, dass wird bei nicht wenigen Deutschen zu gut dokumentierbarer Schizophrenie führen, da schnell mit der rassischtisen Keule um sich geschlagen werden wird: “Die Islamisten waren schon immer so. Die konnten ja noch nie mit Frauen. Ein Grund mehr, diese terroristische Religion in ‘Schland zu verbieten, ” wird es an ungezählten Stammtischen dieser Welt tönen, seien sie nun physikalisch existent oder binär virtuell.
Ist das eigene Weltbild erstmal unreflektiert bestätigt, ist es auch egal, dass die anderen beiden Schuldigen unter den Tisch gefallen lassen wurden. Ist auch besser sie nicht zu nennen, denn sie könnten die Stammtische in ernsthafte argumentative Bedrängnis bringen!
Fangen wir mit Russland an. Lupenreine Demokratie unter Diktator, Zar, Präsident Wladimir I. und östlichster Zipfel unseres Kontinents. Reicht bis nach Asien und ist bekannt für Ausschreitungen gegen Minderheiten. Für freie Meinungsäußerung gibt es hier auch schon mal zwei Jahre Strafarbeit. Das wird aber von uns fleißig toleriert, weil uns viel am russischen Gas an der russischen Freundschaft gelegen ist. So lange die also Rohstoffe haben, die wir wollen, genießen sie Narrenfreiheit. Und sollte Schröders Gazprom irgendwann mal nicht mehr liefern, dann können wir alles nochmal neu verhandeln und gegebenenfalls unsere Ausrichtung überdenken. Dank dem schmutzabweisenden Merkel-Effekt wird nichts an uns hängen bleiben. Auch nicht die tolerierten Menschenrechtsverletzungen im demokratischen Musterland. Im Zweifelsfall gehört der Russe halt nicht zu Europa.
Apropos Zugehörigkeit. Erinnert sich noch jemand an die Abwehrfeuer, als Christian Wulff ((er möge seine aus unserer Steuer finanzierte, lebenslange und bedingungslose Grundsicherung selig haben!)) die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland proklamierte? Damals war viel über die christliche Tradition zu lesen, die dieses Land so maßgeblich und über Jahrhunderte hinweg geprägt hat. Im Sinne des Leitkulturgedankens war damit ein weiterer Einfluss neben dem dominanten vollkommen ausgeschlossen. Die CSU hat ihr Revier erneut dem Christentum markiert und die Diskussion beendet.
Also ich das letzte Mal fern sah, war gerade zufälliger Weise der Beginn des Konklaves. Ach, was würde viel über die christliche Tradition und die immense Bedeutung des Vatikans für die Christenheit schwadroniert. Der selbe Vatikan übrigens, der es nicht cool findet, wenn Frauen nirgends mehr ungestraft geschlagen werden dürfen. Mann muss hier doch auch an die Tradition denken und sie achten. Wenn es mal wieder nötig werden sollte, Hexen zu verbrennen, ist es ganz gut, sich zuvor nicht gegen Gewalt gegen Frauen ausgesprochen zu haben. Das bringt einen sonst in Erklärungsnot.
Dies ist also elementarer Bestandteil von Deutschland. Zumindest solange, wie ein Argument gegen den Islam gebraucht wird. Aber das mit den Frauen… Mann muss ja nicht jeden Tradition auf Punkt und Komma einhalten. “Pick and choose” ist auch nicht erst seit gestern ein Bestandteil des Mehrheitschristentums.
Hier manifestiert sich eine bittere Tragik: Die Vergewaltigungen in Indien zeigen das Ausmaß und die hässlichsten Auswüchse von Patriarchat und sexueller Diskriminierung. Die Haltung des Vatikans als ein Stellvertreter der von uns viel beschworenen christlichen Tradition offenbart, wie fest männliche Dominanz noch in unseren Köpfen verwurzelt ist: Es ist Vertretern dieser Tradition nicht einmal möglich, Gewalt gegen Frauen global, pauschal und ausnahmslos zu verdammen.