Ihr merkt, ich hatte in letzter Zeit viel Zeit zum Lesen. Weil mir langsam die Nerven blank liegen. Weil ich Nachts öfters mal wach liege. Und weil sich der Mensch ja mit irgendwas beschäftigen muss. Vor diesem Hintergrund freue ich mich besonders, heute einen kleinen Schatz der Creative Commons Kultur heben und präsentieren zu können: Ales Pickars Serie In den Spiegeln, welche ich bei meinem Lieblings-eBook-Händler Beam gefunden habe. Heute möchte ich euch also den ersten Teil vorstellen, den ich im ePUB-Format auf meinem Smartphone gelesen habe, weil ich Trottel meinen Sony Reader in Braunschweig vergessen habe.
Zur Handlung. Die Geschichte beginnt irgendwann in den 1990er Jahren. Jan Marek Kamen, der am liebsten Marek gerufen werden möchte, bewohnt eine winzige Wohnung in München, die kaum Platz genug für seine umfangreiche Comicsammlung lässt. Zusammen mit seinem besten und einzigen Freund Manzio genießt er den stoned Way of Life: Die cannabisgeschwängerten, teils philosophischen Gespräche der beiden sind die einzige Abwechslung, die Mareks bescheidendes Leben bereichern. Diese Beschaulichkeit ist ihm ganz recht, da er nicht der Meinung ist, das Leben hätte ihm viel zu bieten. Die Kindheit war für ihn eher mau, vor allem, da sein Vater ihn schnell für einen Versager zu halten begann und dieser seine Zukunftshoffnungen auf den kleinen Bruder projizierte. Zumindest bis dieser sein Schwulsein eingestand und damit ebenfalls in den Augen des Vaters zu einem weiteren Versagen wurde.
Und dann ist da noch diese dunkle Geheimnis, welches Marek aus den Katakomben Prags mitgebrachte. Jenes Geheimnis, das ihm Nachts Albträume schickte, die sich seltsam real anfühlen…
Eines Tages führt Manzio seinen Freund in die Keller ihres Wohnhauses, wo sie den Hausmeister beobachten, wie er sich an einer jungen Asiatin vergeht, die anscheinend dort unten gefangen gehalten wird. Marek ist anfangs von dem Plan, die Frau zu befreien, wenig begeistert, da es ihn zuviel Trubel in den ansonsten smoothen Alltag bringt, aber schließlich lässt er sich doch dazu überreden. Er begleitet den seltsamerweise schwer bewaffneten Manzio in den Keller. Kaum sind sie durch die merkwürdige Tür, die das Wohnhaus von etwas Anderem trennt, gegangen verändert sich Mareks Leben schlagartig, denn was an jenem geheimnisvollen Ort vorfinden ist nur die Spitze einer Wahrheit, die er niemals hören wollte.
Auf den ersten Teil von In den Spiegeln wurde ich kurz nach der Anschaffung meines Sony Readers aufmerksam: Laut Beam habe ich das Buch 10.11.11 “erstanden”, also einen Tag nach dem Gerät. Wobei erstanden das falsche Wort ist für ein Werk, welches Gratis zum download bereit steht. Der Klappentext klang okay, aber auch nicht sonderlich berauschend, weswegen erstmal andere Werke meinen Fokus auf sich zogen. Unter ihnen beispielsweise George R. R. Martins A Song of Ice and Fire, mit dem man viiieellll Zeit verbringen kann.
Vor allem die Fokussierung auf die beiden Kiffer im Klappentext ließ mich alles mögliche erwarten — von banaler Drogenstory bis hin zu einem schillernden Trip a la Illuminatus. Meine Erwartungshaltung schwankte von “ist möglicherweise total blöd” bis zu “echt krass, voll genial”, was dafür sorgte, dass ich Das Haus der Kranich__e erst anfing zu lesen, als ich nichts anderes mehr zum Lesen hatte. Eine Fehleinschätzung meinerseits zum Umfang von Sebastian Fitzeks Der Augensammler gepaart mit nicht einkalkulierten Stunden der Schlaflosigkeit führten mich zu dem Punkt ohne Bücher zum Weiterlesen. Also Handy raus, bei Beam was runtergeladen und los geht’s.
Nach der Lektüre kann ich sagen, dass kein Klappentext, auch nicht meiner, dem Inhalt gerecht wird, was an der Aufteilung des Buches liegt. Die erste Hälfte geht sehr stark auf den Hintergrund, die Herkunft und die Lebensweise von Jan Marek ein, wohingegen im zweiten Teil das Inferno seinen Anfang nimmt und die Geschichte massiv an Fahrt gewinnt. Leider lässt sich nur schwer auf diesen Teil der Geschichte eingehen, wenn Spoiler vermieden werden sollen. Was bleibt sind dann nur zwei kiffende und philosophierende Freunde, von denen einer ein Geheimnis mit sich rumschleppt und die beobachtete Vergewaltigung, von der zu berichten ist. Aber Das Haus der Kraniche ist eindeutig mehr. Viel mehr. Und am Ende dieses ersten Bands hat mein eine leise Ahnung, welche gigantische Geschichte da auf einen zurollt.
Diese Zweiteilung schlägt sich auch im Lesevergnügen nieder. Die erste Hälfte ist ruhig und durchaus informativ, kommt aber nicht so recht in Fahrt. In dieser beschaulichen Einführung ist zwar schon die eloquente Sprache Ales Pickars ersichtlich, aber die allein würde nicht ausreichen 1000 Seiten der Kifferphantasien von Manzio und Marek zu ertragen. Diese Ruhe wird harsch durch die Ereignisse im zweiten Teil unterbrochen, die mich das Buch nicht mehr aus der Hand legen ließen. Ich mag Mysterygeschichten, bei denen ich mich an jeder Ecke frage, was zum Teufel hier eigentlich los ist. Dieser magische Moment, an dem jede Erklärung noch richtig sein könnte und die Bedrohung noch nicht konkret ist. Auch der zweite Hälfte von Das Haus der Kraniche lebt von dieser Ungewissheit, die einen in Staunen versetzt ob der Geheimnisse, die es noch zu ergründet gilt.
Den Umfang bei eBooks zu bewerten, ist nicht immer leicht, da jedes Gerät die Seiten anders bricht und anzeigt. Auch die Dateigröße ist ein schlechter Vergleichswert, da eingebettete Bilder mehr Speicher verbrauchen als plain ASCII. Von der Lesedauer her würde ich sagen, dass des Haus der Kraniche ungefähr die Länge eines Perry Rhodan Heftes hat bzw. leicht darüber liegt. Die ersten drei Teile von In den Spiegeln, die es inzwischen auch als gedrucktes Buch zu kaufen gibt (man suche bei Amazon nach Ales Pikar und werde fündig. Kostenpunkt: 14,99 Euro), sollten dann einen durchschnittlichen 400 Seiten Roman ergeben. Und das, wie ich nicht müde werden kann zu wiederholen, für lau und unter eine Creative Commons Lizenz. Zwar ist es die restriktivste (by-nc-nd), aber hey, da hat zumindest jemand nicht nur Mut, es mit der cc zu versuchen sondern darüber hinaus auch das Talent, gelesen zu werden. Keine so häufige Kombination!
Kurzum: Ein guter Einstieg eines Autoren, der keine Massenware schreibt, denn dafür ist die Sprache zu elaboriert, als dass mir eine Veröffentlichung bei Bastei oder ähnliches angemessen erscheint. Allerdings muss man sich als Leser auch durch die erste Hälfte arbeiten, damit die Geschichte volle Fahrt aufnimmt. Ist dieser Punkt aber erreicht, ist man froh, dass Teil 2, 3 und 4 von In den Spiegeln schon erhältlich sind. Für mich steht fest, dass ich die Serie weiterlesen werde und euch vom Fortgang auf den Laufenden halten werde.
Auf der berühmten Skala von 1 bis 10 bekommt dieser Teil eine ordentliche und wohlverdiente 8, da Das Haus der Kraniche nicht ganz so durchgängig den Spannungsbogen wie der Augensammler hält.
Das eBook kann hier kostenlos geordert werden. Darüber hinaus ist es auch bei Amazon für den Kindle erhältlich und ich kann mir vorstellen, dass auch andere eBook-Händler es in ihren Katalog aufgenommen haben. Bei Beam ist es aber im Gegensatz zu Amazon DRM-frei, was mir persönlich ausgesprochen wichtig und das ausschlagende Argument gegen den Kindle war!